Denkende Maschinen

(Der Text wurde veröffentlicht in Magazin “Die Munze”, Juli 2019. Als PDF hier)

Diskussionen über neuartige Software und Roboter, die Menschen in allen wirtschaftlichen Bereichen ersetzen können, selbstfahrende Autos, die falsche Entscheidungen treffen, oder die Singularität, eine “Superintelligenz”, die unsere Existenz bald bedrohen wird, finden in den Medien, im privaten Kreis aber auch in Konzernzentralen statt. Oft wird “künstliche Intelligenz (KI)” dabei als Computerprogramme gesehen, die ohne menschliche Kontrolle handeln können und sich letztlich gegen ihre SchöpferInnen wenden.

Automatisch Intelligent?

Der Begriff “künstliche Intelligenz” entstand in den 1950er Jahren in den USA, als Wissenschaftler den folgenden Gedanken diskutierten: Wenn Computer Aufgaben wie die Berechnung ballistischer Flugbahnen besser als jeder Mensch erledigen, müsste es doch möglich sein, menschliches Denken durch Abarbeiten von Schlussregeln zu simulieren. So wurden in diesen Jahren erste Computerprogramme entwickelt, die mathematische Beweise erstellen oder Schach spielen konnten.

Ein Grund, warum nach anfänglichen Erfolgen weitere Durchbrüche ausblieben, ist die kombinatorische Explosion. Diese bedingt, dass ein naives Schachprogramm zwar relativ schnell vier oder fünf Züge voraus blicken kann, für jeden weiteren Zug aber immer 100 Mal mehr Zeit benötigt. Diese konnte selbst die rasante Entwicklung auf Hardware-Ebene nicht bieten; es dauerte bis 1997, dass ein Computer den Schachweltmeister schlagen konnte. Eine weitere Ernüchterung war, dass vermeintlich einfachere menschliche Denkleistungen als Schach, wie Bilderkennung oder Sprachverstehen, mit simplen Abarbeitungsregeln nicht erreicht wurden. Es wurde daher ein anderer Ansatz verfolgt, der Muster in Daten findet und diese in neuen Situationen wiedererkennt. Entsprechende statistische Methoden erfordern aber riesige Datenmengen, die erst mit dem WWW verfügbar wurden, sowie große Rechenleistung. Die erzielten Fortschritte etwa in der Sprach- und Bilderkennung fußen auf diesen Methoden.

Big Data, Little Intelligence

Die skizzierten Ansätze, die oft als symbolische und subsymbolische KI bezeichnet werden, sind die zwei wesentlichen Strömungen in der KI. Subsymbolische KI, auf die Schlagwörter wie Maschinelles Lernen oder Neuronale Netzwerke zutreffen, vereint Methoden, die auf umfangreichen Berechnungen, Signal- und Datenvergleichen sowie Auswahl statistischer bester Möglichkeiten beruhen. Mit zunehmenden Anwendungen werden auch Beschränkungen des Ansatzes klar. Man stelle sich vor, Gerichtsurteile würden nur anhand von aktuellen und ähnlichen Falldaten gefällt; man erwartet zumindest nachvollziehbare Erklärungen und nicht nur statistische Korrelation. Hier kommt die symbolische KI wieder ins Spiel. Ihr Fundament ist die formale Logik (die “Kunst des Schlussfolgerns”), ihr Ziel Algorithmen aus logischen Regeln so zu erstellen, dass deren Ergebnisse klar nachvollziehbar und somit verifizierbar sind. Gesetzestexte etwa sammeln formale Regeln, die in Rechtsverfahren angewendet werden. Je komplexer der Sachverhalt, desto aufwändiger ist die Berechnung; daher stehen in der KI-Forschung Methoden für schnelle Algorithmen seit jeher im Vordergrund. Während sich die subsymbolische KI gut für große Datenmengen eignet aber nur unzureichend Ergebnisse erklären kann, baut die symbolische KI auf logischem Schließen auf, beherrscht aber keine großen Datenmengen. Die Verbindung der beiden Ansätze ist eine große Herausforderung in der KI-Forschung. Inwieweit Computerprogramme dadurch menschliche Denkleistungen erreichen bleibt abzuwarten.

AI for the Good, Bad, and Ugly?

KI findet sich heute fast überall. In der Logistik, im Navi des Autos, oder beim Online-Kauf. Verantwortungsvolle Anwendungen in der Medizin sind Systeme zur Analyse und Diagnose von Pathologien (“Medtech”), oder im Rechtsbereich die automatisierte Vertragsüberprüfung zur Prozessvorbereitung (“Lawtech”). KI könnte einen großen Einfluss im Agrarsektor gewinnen – ein Bereich, der mit einer schnell wachsenden Weltbevölkerung, dem Kampf um Ressourcen und stagnierender Produktivität konfrontiert ist. Apps, die anhand von Satellitenbildern Hilfe bieten um Felder zu überwachen, das Wetter zu verfolgen oder Erkenntnisse zur Bodenqualität zu gewinnen, können zu ertragreicheren Ernten ohne Einsatz von Pestiziden oder Gentechnik führen.

Eine Abhängigkeit von KI birgt auch Risiken: Wichtige Teile unseres Lebens werden von einer Technologie gelenkt werden, die noch nicht wirklich intelligent ist und auf Basis fehlerhafter bzw. unzureichender Daten arbeitet. Obwohl viele Anwendungen ohne personenbezogene Daten auskommen (z.B. Melanom-Erkennung, Routenplanung), dürsten große Konzerne nach diesen und ziehen Wertschöpfung daraus. Da sie am meisten in KI investieren ist zu hinterfragen, ob angesichts etwaigen Missbrauchs von KI-Software die Nutzung unserer Daten als Entgelt für Dienstleistungen wie Internetsuche, Routenplanung usw. ratsam ist.

Intelligent Handeln!

Die Digitalisierung und KI werden unbestritten große Auswirkungen auf alle Lebensbereiche haben. Der Aussicht auf einen steigenden Lebensstandard durch Automatisierung und höhere Produktivität, wovon auch Entwicklungsländer profitieren können, steht der Ersatz menschlicher Arbeit durch KI in einem wachsenden Spektrum von Tätigkeiten gegenüber. Die sinkenden Kosten für digitale Technologien haben zudem die Markteintrittsbarrieren für Neugründungen erheblich gesenkt. Es gilt also, komplexe Wechselwirkungen zwischen wirtschaftlichen, institutionellen, politischen und sozialen Faktoren zu berücksichtigen. Es ist jedenfalls nötig, jetzt ausreichende Mittel für Ausbildung, Forschung und Innovation im Bereich der KI bereit zu stellen, damit wir den Wandel hierzulande aktiv mitgestalten können!

Autoren

Prof. Thomas Eiter ist Leiter des Instituts für Logik und Berechnung an der Fakultät für Informatik der TU Wien. Vor seiner Habilitation an der TU Wien war er außerordentlicher Professor für Informatik an der Universität Gießen. Dr. Eiters Forschungsinteressen umfassen Wissensrepräsentation, Logikprogrammierung, wissensbasierte Agenten und Komplexität in künstlicher Intelligenz (KI). Dr. Eiter beteiligt sich stark in nationalen und internationalen Forschungsprojekten, und war als Fellow von European Association for Artificial Intelligence (EURAI) und Fellow von Academia Europea gekürt. Mit dem „Fellow Programm“ zeichnet die EurAi führende Persönlichkeiten aus der Forschung aus, die ganz besondere Leistungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz erbracht haben. Nur 5-10 Personen pro Jahr wird diese Ehre zuteil. Mehr: www.vcla.at

 Prof. Stefan Woltran ist Professor für “Formale Grundlagen der künstlichen Intelligenz” an der Fakultät für Informatik der TU Wien. Er wendet verschiedene Methoden der formalen Logik auf Fragestellungen der künstlichen Intelligenz an. Die Einsatzbereiche seiner Ideen reichen von der Argumentationstheorie bis zu Fragestellungen zum Semantic Web. Dr. Woltran wurde mit dem OCG-Förderpreis und dem renommierten START-Preis des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) ausgezeichnet. Im 2018 wurde zum EURAI-Fellow gekürt. Mehr: www.vcla.at

 

 

 

 

 

 

Wussten Sie, dass…

„Logic Theorist“ ist ein Computerprogramm aus den 1950er Jahren, das in der Lage war, mathematische Beweise  mit logischen Methoden durchzuführen.

 

Die ersten automatischen Übersetzungsprogramme wurden im Kalten Krieg  entwickelt, als die Sowjetunion und die USA ihre wissenschaftliche Forschung eng verfolgten.

 

1997 schlägt der Computer Deep Blue den Schachweltmeister Garry Kasparov, 2016 bezwingt mit AlphaGo ein Computer erstmals einen Weltklassespieler im viel komplexeren Brettspiel Go.

 

Dem Weltrobotik-Bericht 2018 der International Federation of Robotics zufolge entfallen 73% des Industrieroboter-Gesamtumsatzes auf fünf große Märkte: China, Japan, Südkorea, die USA und Deutschland. Die Autoindustrie ist nach wie vor der größte Roboter-Anwender.

 

CLAIRE https://claire-ai.org/ ist eine Initiative europäischer ForscherInnen, die sich für die Vernetzung der europäischen KI Forschung mit Aufbau eines verteilten  Forschungslabors für KI im Dienste des Menschen einsetzt.